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Aktuelles | De Gennaro, Enrico | 28.07.2021
Vortrag lieferte gründliche Einordnung des Werks von Heinz Rall als Kirchenbauer
Am 24. Juli 2021 war Reinhard Lambert Auer, der im vorangegangenen Jahr in Ruhestand getretene langjährige Kunstbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, zu Gast im Ratshöfle.
In seiner Begrüßung brachte Museumsleiter Enrico De Gennaro seine Freude zum Ausdruck, dass es trotz der langanhaltenden Unmöglichkeit von Veranstaltungen nun doch noch gelang, mit diesem ursprünglich für Februar angesetzten Begleitvortrag zur Ausstellung etwas eingehender in das Thema Kirchenbau und Heinz Rall einsteigen und auch hiermit quasi das "Werk im Werk" unter der Glaspyramide präsentieren zu können.
Im Rahmen seines Vortrages schilderte Auer nicht nur das sakralbauliche Werk Heinz Ralls anhand markanter Beispiele, sondern verstand es auch, dessen architektonisches Wirken grundlegend einzuordnen: Angefangen vom Aufbau der frühesten christlichen Versammlungsräume skizzierte er die Entwicklung von Kirchenbauten durch die Zeiten, um den Zuhörern schließlich den in der protestantischen Kirche seit dem 16. Jahrhundert immer wieder unter anderen Aspekten geführten kirchenbauerischen Diskurs über Aufbau, Gliederung und Funktion von Kirchenräumen näherzubringen – ein Spannungsfeld, in dem Heinz Rall mit all seinen Bauten agierte, wie an ihrer Verschiedenheit sichtbar wird.
Die Pauluskirche in Stuttgart-West: Sie ist der einzige eher traditionell wirkende dreischiffige Saalbau von Heinz Rall – wohl eine Remineszenz an die im Krieg bis auf den Turm zerstörte Vorgängerkirche, in welcher er getauft und konfirmiert wurde.
Dass Rall viele Grundkonzepte wie etwa das Pentagon oder die Zeltform zwar nicht selbst erfunden hat, aber sie entscheidend weiterzuentwickeln verstand – insbesondere auch angepasst an den jeweiligen Standort und die damit zusammenhängenden Erfordernisse und jeweiligen Wünsche der Gemeinden – wurde dabei ebenso deutlich wie, wie intensiv er sich mit der Lichtführung und den Materialien hinsichtlich der Wirkung in den Gottesdiensträumen und der Verkündigung des Wortes auseinandersetzte.
Versöhnungskirche Leonberg-Ramtel: Der Altartisch wurde eigens von Rall als bewegliches Mobiliar entworfen und steht bodeneben auf dem Fußboden, welcher aus wiederverwendeten Betonplatten der einstigen Reichsautobahn besteht. Die raumgreifende Stahlskulptur einer Dornenkrone stammt vom Stuttgarter Bildhauer Hans-Peter Fitz, der beispielsweise auch den Fritz-Faller-Brunnen im Mittleren Schlossgarten in Stuttgart gestaltete.
Das besondere Augenmerk des Architekten galt in dieser Hinsicht auch der künstlerischen Ausstattung der Kirchen, die er stets in einem individuellen, intensiven Zusammenspiel sah und nicht etwa als austauschbare, bloße "Sakraldekoration", so Auer. Mit sicherem Gespür gelang es ihm dabei, junge Künstler für deren Realisierung zu gewinnen, die erst später oftmals zu größerer Geltung aufstrebten.
Nicht zuletzt wurde vergegenwärtigt, mit welcher Innovationskraft und kreativer Freude Rall es verstand, im Rahmen des seinerzeit technisch überhaupt Möglichen, architektonisch mit Formen zu spielen.
Innovativ: Die Kreuzkirche in Ludwigsburg – im Grundriss ein Fünfeck, die Dachflächen sind jedoch dem entgegen verkippte Dreiecke.
Erhellend war sicherlich auch, dass Rall bei den allermeisten realisierten Projekten teils aus über 100 Wettbewerbern mit seinen Entwürfen als Sieger hervorging und er es, trotz einzelner Direktbeauftragungen wie beispielsweise in Leonberg-Ramtel, keineswegs über gut funktionierende Connections zum produktivsten Kirchenbauer der Nachkriegszeit in Württemberg brachte. Darüber hinaus konnte er einzelne Kirchenbauten etwa in Kassel, Osnabrück und Österreich realisieren.
Während sich die Kirchen heute gravierend dem Spannungsfeld von Auflassung und Umnutzung ihrer mittlerweile zu zahlreich gewordenen Bauten ausgesetzt sehen, war Rall's Denkweise in dieser Hinsicht seiner Zeit schon um Jahrzehnte weit voraus, indem er häufig funktionsübergreifende Aspekte in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte: Hervorragende Beispiele dafür sind etwa der Umbau der Güglinger Mauritiuskirche oder der Dreifaltigkeitskirche in Leutkirch/Allgäu, welcher Auer einen regelrechten multifunktionalen "Stadthallencharakter" attestierte. Diese Fortschrittlichkeit sei einer der Hauptgründe dafür, dass Ralls Kirchen mehrheitlich eine ausgezeichnete Akzeptanz in ihren betreffenden Gemeinden fänden, wie der aus Sindelfingen stammende und gewissermaßen auch in einer Rall-Kirche groß gewordene Vortragende aus seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit selbst mitzuteilen wusste.